Das Land erlebt einen Massenaufstand der Landwirte. Bei allem Respekt für die Belange der Landwirte dürfen aber rote Linien nicht überschritten werden.


Dass Landwirtschaft ein wichtiger Bestandteil der Versorgung der Bevölkerung ist, wird niemand ernsthaft bestreiten. Und dass landwirtschaftliche Arbeit hart und der Erfolg abhängig ist vom Wetter ebensowenig. Die Landwirtschaft ist ein tragender Teil der Gesellschaft, sichert unsere Nahrungsversorgung, und die Landwirte haben unseren Respekt und unsere Anerkennung verdient.

Die wirtschaftliche Situation der Landwirte ist von großen Herausforderungen gekennzeichnet – Dürreperioden oder, wie jetzt, Überschwemmungen. Die harte Arbeit lohnt sich in vielen Fällen nicht mehr – nicht umsonst haben in den letzten Jahren viele Landwirte aufgegeben und keine Nachfolger mehr gefunden. Die harte Arbeit wird nicht genügend gewürdigt und nicht ausreichend bezahlt. Die Kehrseite jedoch ist, dass es kaum eine andere Branche gibt, die so viele Subventionen erhält wie die Landwirtschaft. So wird aus EU-Mitteln jeder Hektar Land mit ca. 280 € bezuschusst (Basisprämie, Junglandwirtförderung, Förderung kleiner Betriebe usw.) – das waren in Deutschland bislang jährlich ca. 53 Mrd. Euro. Dies ist der Ausgleich der Steuern zahlenden Gesellschaft für die Versorgungssicherheit.

Mit der Ursachenforschung wird man schnell fündig: Die Preise für die landwirtschaftlichen Produkte werden nicht mehr gezahlt. Einerseits leben wir in einer Zeit des „Geiz ist geil“, in der wir als Verbraucher weniger auf die Qualität achten als vielmehr nach den billigen Produkten schielen. Andererseits sieht sich die Landwirtschaft einer Marktmacht des Handels gegenüber, der die Preise diktiert. Darüber hinaus gibt es seit langem einen Konzentrationsprozess auch in der Landwirtschaft: Immer mehr Kleinbetriebe sterben, und immer mehr Großbetriebe kaufen Land auf. Was leider immer noch zu wenig beachtet wird: Agrarferne Investoren kaufen Land auf und verpachten es an die Landwirtschaft oder halten es als Spekulationsobjekt vor – Preissteigerungen sind also wegen deren Gewinnerwartungen auf lange Sicht vorprogrammiert. Wir haben ein gesellschaftspolitisches und ein Strukturproblem, das schon seit Jahrzehnten besteht und immer wieder gekleistert, aber nie behoben wurde. Jahrelang haben CDU und CSU die Landwirtschaftsminister gestellt und sich dieser Problematik nicht gestellt. Und ebenso jahrelang hat die Interessenvertretung der Landwirte dieser Entwicklung zugesehen – ohnmächtig oder aus anderen Gründen?

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Bundeshaushalt zwingt die Bundesregierung zu Vorschlägen über Rücknahme von alten und neuen Vergünstigungen in allen Bereichen des Lebens – mit Ausnahme der Verteidigung. Die Entscheidung darüber fällt allerdings nicht die Bundesregierung sondern der Bundestag – so ist das in einer parlamentarischen Demokratie.

Dass Landwirte dagegen protestieren können, wird niemand ernsthaft bestreiten wollen. Es geht aber auch immer um die Frage des „Wie“. Und es geht darum, wie man in einer solchen Situation miteinander umgeht. Und es geht letztendlich auch um Fakten. Wenn wir aktuell über die finanzielle Situation der Landwirte sprechen, dann verwundert ein Beitrag auf der Internetseite von „agrarheute.com“ – einer wohl unverdächtigen Quelle – vom 6. November 2023, in dem über das Wirtschaftsjahr 2022/2023 zu lesen ist. „Demnach verzeichnen die Landwirte in Hessen – und wahrscheinlich auch den anderen Bundesländern – im abgelaufenen Wirtschaftsjahr „ein absolutes und bisher nie dagewesenes Spitzenergebnis"“. Und:
„In allen Betriebsformen wurden Spitzengewinne erzielt. Trotz der hohen Kosten.“

Damit wir uns recht verstehen: Leistung muss belohnt werden – und das gilt auch für Landwirte. Aber: Wenn in einer Krisensituation auf liebgewonnene Vorteile verzichtet werden muss, weil der Euro eben nur einmal verteilt werden kann, dann darf man sich nicht wundern, wenn Privilegien wie die Rückführung des steuervergünstigten Diesel – und es handelt sich dabei nicht um eine Steuererhöhung, wie gerne formuliert wird – sowie die Steuerbefreiung der Traktoren aufgehoben werden müssen. Protest dagegen ist gutes Recht. Die SPD hat sich in ihrer über hundertfünfzigjährigen Geschichte schon immer für das demokratische Recht auf Demonstrationen eingesetzt. Blockaden – egal, ob von „Klimaklebern“, Landwirten oder anderen Interessengruppen – lehnen wir aber entschieden ab: Menschen kommen nicht zu ihrem Arbeitsplatz oder zur ärztlichen Behandlung usw. Wer aber „Galgen“ aufstellt und eine Ampel daran festmacht, setzt ein Zeichen und überschreitet eine rote Linie. Wir möchten nicht, dass solche Bilder zur Selbstjustiz animieren.