Was ist bloß in Deutschland los?

Eine von der SPD vorgeschlagene Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht wird mit Falschbehauptungen („Abtreibung bis zum neunten Monat“) und Plagiatsvorwürfen bei der Dissertation angefeindet, erhält sogar Morddrohungen; trotz Widerlegung betreiben Rechtspopulisten weiterhin das Geschäft der falschen Vorwürfe. Auch eine Gruppe aus CDU- und CSU-Bundestagsabgeordneten gesellt sich in die unselige Phalanx, zu der auch Vertreter der katholischen Kirche gehören (deren Missbrauchsvorwürfe intern immer noch nicht aufgearbeitet sind). Inzwischen wird auch die zweite von der SPD vorgeschlagene Kandidatin mit Falschbehauptungen überzogen. Ergebnis: Man setzt die Richterwahl aus und will das Thema in den Sommerferien abarbeiten.
Das Sozialsystem sieht sich zunehmender Anfeindungen ausgesetzt: Seit Jahrzehnten ist das Thema „Babyboomer“ bekannt – keiner jedoch hat dafür Vorsorge getroffen, das Rentensystem darauf auszurichten. Um es klar zu sagen: Die dauernden und immer höher werdenden Zuschüsse aus der Steuerkasse an das Rentensystem sind nicht mehr tragbar. Wir brauchen ein Reset. Dazu gehört die Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen – Arbeitnehmer, Selbstständige und Beamte – in ein einheitliches Rentensystem, dazu gehört auch eine allgemeine Krankenversicherung (man nannte es einmal „Bürgerversicherung“) – und dazu gehören anständige Löhne und Gehälter.
Die derzeit massive Diskussion um die Arbeitszeitverlängerung – von BDA-Präsident Rainer Dulger oder Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (von CDA-Bundesvize Christian Bäumler vom Sozialflügel der CDU als „Fehlbesetzung“ bezeichnet) werden nicht müde, das Lied von der Lebensarbeitszeitverlängerung zu singen, und Kanzler Friedrich Merz will die Hand an die Wochenarbeitszeit legen – zeigen nur eines: Das Sozialsystem steht zur Disposition.
Warum machen wir nicht die Diskussion über die Unternehmen auf? Wer heute über Arbeitskräftemangel klagt, hat jahrelang keine ausreichende Ausbildung betrieben. Und wie steht es mit der Technologisierung in den Unternehmen, wie steht es mit KI? Soll die Debatte um die Schleifung des Sozialstaates etwa verschleiern, dass die Unternehmen und ihre Manager zu träge und zu wenig innovativ sind und immer nur an Subventionen denken statt das zu tun, was sie machen sollten – nämlich „unternehmen“?
Dabei ist es einfach, eine Formel für eine funktionsfähige Gesellschaft zu definieren: Ein Mann/eine Frau muss so viel verdienen, dass er/sie davon leben, eine Familie ernähren, sich eine Wohnung leisten, den Kindern eine gute Ausbildung mitgeben, Urlaub machen und im Alter einen guten Lebensabend verbringen kann. Aus dieser Zielkonstellation leiten sich bestimmte Handlungsleitlinien ab, die in das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem Eingang finden müssen – nichtr mehr und nicht weniger. Die SPD ist – wieder einmal – gefordert.